Archive für Beiträge mit Schlagwort: Theater Tiefrot

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Beitrag mit Fotos folgt…

zweite Überschrift Nachtschicht von Daniel Anderson im Theater Tiefrot in Köln am 12.10.2013 (Premiere 11.10-page-001

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Je mehr man in einen Text eindringt, je länger man nach einer Theateraufführung wartet, desto problematischer wird es, einen Text über sie zu schreiben. Aber nach den rund neunzig Minuten NACHTSCHICHT von Daniel Anderson im Theater TIEFROT in Köln, demnächst in Berlin und noch einmal in Köln zu sehen (?) war ich sprachlos, sprachlos wegen der berührten Assoziationsfelder, sprachlos wegen hervorragender Darsteller und auch sprachlos wegen eines Stücks und einer Inszenierung – ganz schwer zu trennen an diesem Abend Text, an dem wohl bis zum letzten Augenblick gefeilt worden ist und Inszenierung, die ich hervorragend einstufe, weil die Darsteller in den Vordergrund treten, der inhaltliche Spannungsbogen zu leben beginnt, die Darsteller im Rahmen der Bühne brillieren…..
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Daniel Andersson (Jahrgang 1968) ist nun wahrlich kein Unbekannter in der deutschen Film- und Fernsehszene, als Blogger im Internet und auch als Leiter der Berliner Theaterbrigade ,unterwegs‘, er hat mit Nachtschicht ein Kammerspiel geschrieben, das einen Underdog (Judith-Mutter-Teilzeitcallgirl) mit einem Politiker vereinigt. Das ist, so wie es spielerisch daherkommt, ganz frisch, ganz neu und vor allem ein Stück packendes Theater, sicher auch wegen den hervorragenden Darstellern.
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Das Bühnenbild spartanisch, nur ergänzt durch ein raffiniertes Sounddesign, das im Kopf die Bilder erzeugt, die beim Zusehenden Hintergrund bewirken und gleichzeitig verhindern, dass das spielerische Umgehen mit den Zeichen- und Bedeutungsebenen je realistisch wird, obwohl nun keineswegs experimentelle Spielweisen verfolgt werden.
Andersons Darsteller sind bekannt aus Film und Fernsehen, das hilft und gleichzeitig verwirrt es wohl bewusst, weil sie in der dort stärker vorhandenen Rollen- oder Typenfestlegung beim Zuschauer ein Erkennen auslösen, das anschließend unterlaufen wird…und auch zwischenzeitlich ,bedient‘ wird. Selbst wenn einem die Namen nichts sagen mögen, es sind ganz wunderbare Schauspieler, die im Theater des ja nun keineswegs bedeutungslosen Schauspielers Volker Lippmann auftreten, um so ärgerlicher, wenn nicht einmal die Premiere ausverkauft war und in der von mir besuchten Aufführung die Darsteller gegen das Loch der zweiten Aufführung und einen halb leeren Zuschauerraum anspielen mussten. Das ist schwer, aber das fühlte sich nie schwer sondern leicht an, ein Qualitätskriterium, denn Kunst macht ja nach Karl Valentin bekanntlich viel Arbeit, ist aber nicht nur schön, sondern sollte im Ergebnis seine Mühe und Arbeit nicht mehr dahin wuchten, so wie man es manchmal in schlechten Stadttheateraufführungen erlebt, wo einem das verwendete Geld, der Apparat und die Mühen nur so um die Ohren gehauen werden, von der schwergewichtig daherkommenden Symbolik ganz zu schweigen.
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Das alles findet bei NACHTSCHICHT nicht statt. Anderson entfaltet ganz leicht ein Spiel, das zwischen Geburt und Tod, Einsamkeit und scheinbarer Zweisamkeit, Alltäglichem und ebenfalls so spannend Geschäftlichem, Verantwortung und Verarschung, Privatem und Öffentlichem ambivalent daher balanciert und den Zuschauer packt, sondern in ihm nicht nur Assoziationsfelder aufreißt, auch mit dem ambitionierten Programmzettel, der sicher  außerhalb des Off-Bereichs ein aufwendiges und spannend gestaltetes Programmbuch geworden wäre, mit den hier mir freundlicherweise für die Öffentlichkeit freigegebenen ganz ausgezeichneten Theaterfotos von Dietmar Breuer. Aber das Team um Daniel Anderson reißt nicht nur Assoziationsfelder auf, sondern es gibt auch den Roman für den Kopf- und Seelendiskurs des Rezensenten, was der ganz außerordentlich schätzt, zumal an diesem Abend die Ambition von Stück und Programmheft auch eingelöst werden, was ihm selbst in Stadttheatern nicht immer vergönnt ist…
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Die Geschichte ist eigentlich ganz einfach, oder?. Die Lebenskünstlerin Judith (mit so vielen Facetten und dieser hohen Intensität: Tanja Schmitz) hat ein Kind, das sie über alles liebt. Sie ist ein Mensch mit Tiefe, schließlich singt sie Tom Waits zur Guitarre, oder? Und ist gesegnet mit einem außerordentlichen Unabhängigkeitsbestreben, eine jener nicht angepassten Frauen am Rande der Gesellschaft, die darauf scheißen, was Andere von ihr denken, deren Hauptbeziehungsperson der Vater zu sein scheint. Hier fragt der Kopf des Rezensenten: Wirklich? Ist das wirklich so mit der Kindesliebe oder dem Verantwortungsgefühl oder der engen Vaterbeziehung? Der Papa ist beinahe rührend bemüht und wohl auch ein Einsamer, der längst gestrandet wäre, hätte er nicht Judith und die Enkelin Anna. In dieser Rolle, die kleiner zu sein scheint, brilliert Christian Intorp, der in einer Art innerem Gegenentwurf auch den keineswegs bemühten, nur notgeilen und schmierigen Portier mimt. Das ist nicht einfach nur ein anderes Kleidungsstück, da findet eine komplette Verwandlung statt zwischen Vater und Portier und trotzdem berühren die gesellschaftlichen Rollen in ganz anderen Lebenssituationen. Da reißt Anderson ganz große Empathie Möglichkeiten auf, ganz starke Einfühl- und Eindenkräume wie den ganzen Abend, was die Zuschauer fast bis zur Enttäuschung begleitet, am Ende, nach nur neunzig Minuten, nach denen man denkt: schade, schon vorbei. Zu recht ganz, ganz starker Beifall verbunden mit dem Wunsch nach mehr Zuschauern…..
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Judith steht ein selbstgefälliger Mensch gegenüber, Wolf Mehnert, ein Politiker, wie er selbst sagt, der aber auch Allüren eines Gangsterbosses hat und vom ebenfalls sehr bekannten  Mark Zak verkörpert wird, virtuos zwischen Allüren, Einsamkeit, Gößenwahn und Arschloch daher esquilibrierend, gleichstarker Antipode zu Tanja Schmitz, jener Wolf Mehnert, den in Berlin Michael Schiller gibt. Ab dem Zeitunkt ihrer Begegnung entwickelt sich zwischen beiden sofort ein Spiel, ein Spiel von Demut und Demütigung, Beherrschung und Unterwerfung, Schmerz und Gewalt, aber es ist ein Spiel das verstört, denn es wird immer wieder zwischendurch ein Kampf auf Leben und Tod, ein lustvolles Schlawenzeln, das zuweilen die Intensität von Folter und Wasserbording hat, wobei allein die Vorstellung eines reellen Hintergrundes daher gruselt.
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Natürlich denkt sich Anderson in Stück und Inszenierung als Assoziation den Politiker Barschel, der einst umkam und keineswegs neu – höchstens, was das Timing angeht und die Doppelbödigkeit eines Begriffs wie Ehrenwort, – aber das ist eben die schwer fassbare und beschreibbare Qualität von Stück und Inszenierung, dass Darsteller und Kreativteam berühren ohne wirklich konkret aufzuzeigen, ein so-hätte-es-ja-sein-können, dem Anderson den Vorzug vor einem glasklaren so-ist-es gibt und so bereichert, anstatt einzuengen. In diesem Vexierspiel von Gewalt und flirrender Sehnsucht werden wir Zuschauer mit hineingesogen in dieses Kammerspiel, das gegen Ende mit einer ganzen Variation von dramaturgischen Möglichkeiten bereichert wird und Endvarianten dieser utopisch-exzentrischen Begegnung, in der Geld zur Theologie und spirituelle Möglichkeiten zu Handlungsfutter im ewigen Kampf der Geschlechter  werden. Konkretes verraten hieße, dem künftigen Zuschauer Möglichkeiten nehmen, ihm mit scheinbaren Lösungsvorschlägen eines nie so involvierten Rezensenten die Entdeckerfreude an jedem Theaterabend begrenzen. Denn es geht sowieso nie um gut oder schlecht, Kunst ist nie so platt wie das scheinbare Leben, die offensichtliche Existenz, aber im Bestfalle, und der liegt hier vor, bereichert es, reißt ein, reißt auf, darf auch verwirren und so zu einer individuellen Synthese führen.

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Auch wenn der Autor und Regisseur ein Vollblutprofi ist, darf man ihm wünschen, dass sich in Köln und Berlin viele weitere Zuschauer mit seiner Nachtschicht auseinandersetzen. Es sind wohl ein ewig währender Lernprozess, das Theater und das Leben, aber es wäre doch zu wünschen, dass die, die es auch betrifft, die Menschen in der eigenen Szene, sich nicht hinter Wolf Mehnert und seinen Ausflüchten verstecken, die als Binsenlebensweisheiten daher kommen, sondern in die NACHTSCHICHT gehen und sich auch ein wenig dem Dunkel der Abgründe stellen, die keineswegs immer lustvoll keineswegs nur flüchtig berührt werden. Daniel Anderson, dem Manche vielleicht Oberfläche vorwerfen mögen, dringt weiter hinter dieselbige vor, obwohl er gerade ein Meister ist, sie aufzuzeigen.
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Der Renzensent merkt nur an, dass Falten in einem Hochzeitskleid, das den Reiz von Spiel und Bühnenrealität ohne Zweifel belebt, zum Nachdenken darüber anregen, ob es symbolisch gemeint war oder einfach nur geschehen ist, wie zwei trockene Brötchen bei einem Frühstück mit der Kölner Theaterzeitung als Morgenlektüre. Aber das sind Marginalien eines durch und durch gelungenen Theaterakts in Köln und Berlin, dem ich wünsche, dass er in der Vielfalt des Datenstroms auch in der OFF-Szene nicht einfach unbemerkt bleibt.
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weitere Aufführungen in Köln und Berlin

Für die Freigabe der Bilder und die zur Verfügung gestellten Materialien bedanke ich mich ganz herzlich bei Daniel Anderson und Dietmar Breuer
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ZWEITE Überschrift Wer hat Angst vor Virginia Wolf Theater Tiefrot  Regie Volker Lippmann  19.10-page0001

Am Ende verbirgt Martha (Julia Karl) ihren Kopf in Georges (Volker Lippmann) Schoß, seine Hand liegt fast zärtlich auf ihrem Haar, und unter seiner Hand grabbelt sie langsam mit ihrer Hand hervor und verschränkt sie in seiner. Erschöpft nach ihrem alkoholisierten Höllenritt durch die Abgründe ihrer Ehe ist diese Geste beinahe hoffnungsvoll. Ja so mag es sein, wenn man zwanzig Jahre verheiratet ist, eingebunden in die Zwänge des Alltäglichen. Aber vorher hat man einander bis aufs Blut gereizt und bis ins Mark verletzt, böse Spiele bis zum Tod gespielt, aber einander die Masken und Allüren vom Gesicht gerissen, wie es nur Eheleute können, die einander so gut, vielleicht zugut kennen und mit den dunklen Seiten der Existenz ringen, wenns Nacht wird und der Alkoholpegel uferlos steigt. (Das ist kein Statement gegen ein gepflegtes Besäufnis.)

Der Zuschauer, der diesmal das Theater Tiefrot betritt, hat wie fast immer ein vollkommen verändertes Raumerlebnis, was vor einer Woche bei der gelungenen Premiere NACHTSCHICHT von Daniel Anderson noch mit traditioneller Guckkastenbühne ebenfalls in die Tiefen der Seele vorstieß, aber vor allem mit den Realitäten spielte, diesmal hat Regisseur Volker Lippmann einen Raum in der Mitte des Theaters geschaffen, der in seinen abstürzenden schwarzen Wänden beinahe wie ein mit roter Lackfolie am Boden und eleganten orangen Stühlen ausgestattes Schwimmbassin anmutet. Eine Arenabühne, die Zuschauer oberhalb auf zwei Tribünen zur Seite des Eheschlachtenbassins. An der Wind ein farblich zu Stühlen und Theaterkissen passendes abstraktes Gemälde, die einzigen Requisiten, ein Plattenspieler und ein mit unzähligen Alkoholika bestückter Dinett-Teewagen, den Martha und George und ihre beiden Gäste, Nick und bei Lippmann Putzi,  eifrig nutzen. beide Requisiten verweisen auf die Entstehungszeit in den Sechzigern, aber eine Verbalschlacht dieser Art, berühmt geworden durch die in meinen Augen eher schwächer gespielte Verfilmung mit Richard Burton und Liz Taylor, könnte ja ein wenig verstaubt anmuten, aber sie wirkt im Tiefrot eigentlich ganz erschreckend nah und das liegt vor allem an Volker Lippmanns schnörkelloser aber kräftig zupackender Inszenierung und an seinen neben ihm brillierenden Darstellerinnen Julia Karl als Martha, Christina Schumacher als Putzi und Max von Mühlen als Nick.

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Foto: Klaudius Dziuk

Natürlich ist der Vollbutschauspieler und Vollblutkommödiant Volker Lippmann ein ganz starker George, ein Arschloch, das saufen kann lange noch, wenn er eigentlich nicht mehr stehen kann, und ein sadistisches Vergnügen an der Eheschlacht mit Martha, an den Demütigungsorgien gegenüber seinen Gästen hat,  Einer, der zum Kotzbrocken wird, wenn er am Ende des zweiten Aktes höhnisch in ein teuflisches Gelächter ausbricht, aber den Zuschauer zu Tränen rührt, wenn er alleingelassen von Martha und Nick, die sich irgendwo im Haus vergnügen, in Tränen ausbricht. Da sitzt einer der gerade am eigenen Leib rasierklingenscharf erfährt, dass die Anderen frei nach Sartre die Hölle sein können.
Aber es ist die Leistung des Regisseurs Volker Lippmann, der mit seiner tiefliegenden Bühnearena, den Kunstgriff schafft, dass wir immer auf die von oben herunterschauen können, die sich vor unseren Augen die Seele aus dem Leib spielen, und trotz der zunehmenden Alkoholisierung auch das Sprachkunststück dieser brillianten Dialoge von Anfang bis Ende des Sitzfleisch herausfordernden Abends trefflich zelebrieren, ein Abend, der aber an keiner Stelle langweilt oder nicht zupackend ist.

Hat man gerade noch über die langsame und zunehmende Alkoholisierung der brilliant darbietende Putzi von Christina Schumacher gelacht, ihre gar nicht so unbedarfte Naive, die giggelnd und kichernd und hysterisch schreiend und zwischendurch hinter der Bühne durchweg kotzende  von einer Peinlichkeit in die nächste fällt, kippt die Unterhaltung ganz böse, ganz leise oder laut, ganz schrill. Das ist schon ein Kabinettstückchen aus dem Hintergrund, diese Putzi von Christina Schumacher, wobei man Albee ja zubilligen muss, dass es in diesem Quartett keine Nebenrolle gibt und vor allem wenn Putzi alkoholisiert aufdreht wird sie hinreißend komisch so anrührend sie wirkt, wenn sie sich leicht schwankend um die Wahrnehmung säuft.

Aber kaum hat man sich ins Lachen geflüchtet, verurteilt die Figuren eben von oben herab, stopft einem Lippmann das Lachen in den Hals zurück mit einem bösen George, der zwar gern den Clown mimt, aber im Suff genauso böse agiert wie Martha, die die Spielregeln des Ehekrieges durchbricht, weswegen George sich bitterlich rächt und den gemeinsamen Sohn, eine reine Gesellschafts- und Smalltalkerfindung im Endgefecht schließlich und endlich umbringt. Die Gäste Nick und Putzi, die munter mitgekriegt und mitgesoffen,  im Morgengrauen endlich die Flucht ergriffen haben, sind bei weitem nicht so brav und nett wie sie sich geben, und man befürchtet oder ahnt, dass man eher einem zufälligen Partyabend von Martha und George beigewohnt hat, dass es deren schon viele in der über zwanzigjährigen Ehe gegeben hat und vielleicht noch geben wird oder sollte es ein Ende mit den Ehesaufexzessen haben, weil der erfundene Sohn, der vor fast genau einundzwanzig Jahren als Fake ,geboren‘ wurde, nun tot ist.

Diese Rhythmus und Tempiwechsel, dieses ganze, starke Spektrum darstellerischer Mittel zeigt, dass im Mittelpunkt des Theaters immer und immer nur die Schauspieler stehen und  es keinerlei theoretischer Überbauten bedarf, keiner Ausstattungsopern und auch keinerlei Programmheftes etc.  um einen hinreißenden Theaterabend erleben zu dürfen. Die drei Klavierausklänge der drei Akte und eine Lichtstimmung pro Akt und vier tolle Schauspieler reichen aus, um diese ganze Geschichte des Trinkens, Trinkens und noch einmal Trinkens zu erzählen. Die Brüche in den Figuren heben den Text neben seiner dramaturgischen Brillianz aber weit über irgendeine Szenen-einer-Ehe-Geschichte weit hinaus. Aber es ist auch Lippmann und sein trotz kürzester  Probenzeit sehr stark agierendes Ensemble die diese scheinbar überholte Geschichte so packend erzählen, dass sie fast direkt von heute wirkt. Der Verzicht auf eine Pause fordert die Zuschauer, aber der ununterbrochene  Spannungsbogen gibt Lippmann Recht.

Martha als Weiß-schwarz Clown und George im Clownskostüm, Nick und Putzi im Wiesn-Outfit treffen zu Beginn nach dem Kostümfest bei Marthas Vater mitten in der Nacht aufeinander und sie trinken und trinken und trinken, dieser leicht betrunkene Gläserfüllen-Flasche-gegen-Gläser-schlagen-Klang und die in die Gläser schwappende Flüssigkeit wird zum Symbol des Theaterabends und die Inszenierung zeigt sehr kunstvoll wie man mit drei Stühlen, einer Sitzbank und dem Mut auch mit dem Rücken zum Publikum zu agieren einen Theaterraum fast bis auf den letzten Quadratzentimeter ausfüllen kann, in den scheinbar beliebig variierten Konstellationen auch immer neue Bilder, die den Seelenzuständen entsprechen, Bilder zu Seelenabgründen und lustvolles Erzählen von Geschichten und Geschichtchen ohne irgendwelchen inszenatorischen Schnickschnack.

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Foto: Klaudius Dziuk

Max von Mühlen gelingt neben den starken Damen und dem Hausherrn das Kunststück im Widerpart mit Volker Lippmann nicht nur den Nick als letztendlich Überlegenen da noch nicht so lange ins Leben verstrickten, also Jüngeren, zu zeigen aber auch seine jugendliche Arroganz und Überheblichkeit, die einer Naiven bedarf um dastehen zu können. Da scheinen Martha und George weiter, verstrickter und verzweifelter, auch bzw. vor allem wenn sie sich beinahe gegenseitig mit ihren direkten und verdeckten Attacken gegenseitig umbringen. Das gegenseitig hingekotzte ,Du Machst mich krank‘ wirkt von oben nach unten nicht so messerscharf, aber sind wir da oben wirklich besser, anders als die da unten.

Kunstvoll nicht nur die steten Variationen der Bilder, Tempi und Stimmungen. äußerst kunstvoll das laute wie auch eindringlich Leise, das nie die räumlichen Gegebenheiten des Theaterraums sprengt. Es ist und bleibt ein Spiel, aber ein Spiel auf Leben und Tod und vielleicht sieht man die Wirklichkeit gar nicht, weil man überlegen von oben herab alles zu sehen und zu verstehen glaubt, man so Vieles sieht, zu sehen glaubt, nur das Wesentliche nicht sieht, was immer das nun ist, an diesem Abend, im Leben, in der Welt.

Auf der Flyerpostkarte und auf der Internetseite wird die Stückeinschätzung des ehemaligen Zeit-Theaterkritikers Rolf Michaelis zitiert, der diesen bitterbösen Parforceritt durch die Ehehölle so charakterisiert:

Albees Stück ist das böseste, garstigste, schrecklichste Theaterstück. Aber solche Kritik bleibt nur die halbe Wahrheit, wenn man nicht ergänzt: es ist auch das aufrichtigste, lauterste, wunderbarste. Das seien Aushängeschilder, die einander verdecken? Ja. So ist das Stück. Widerlich und faszinierend. Schockierend und läuternd.

Letzteres wage ich einmal zu bezweifeln aber nur wegen grundsätzlicher Zweifel an der Katharsis, zumindest, wenn man von oben aufs Geschehen herabschaut und nicht in die eigenen dunklen Abgründe hinabsteigt.

Ganz starker berechtigter Beifall für ein Kammerspiel, das man sich eigentlich nicht entgehen lassen sollte, gerade weil es so leicht daher kommt und so tief trifft.

weitere Vorstellungen am 23. und 31. Oktober
1../2./20./22./23./ und 24. November jeweils 20.30 Uhr und Sonntags um 19.30 Uhr
im Theater Tiefrot in der Dagobertstrasse
http://www.theater-tiefrot.de

(unkorrigierte Fassung)

PDF Version der KRITIK

Wer hat Angst vor Virginia Wolf Theater Tiefrot Regie Volker Lippmann 19.10

(erste unkorrigierte Fassung)

Sehr empfehlenswert die handwerklich saubere Uraufführung von Nachtschicht im Theater Tiefrot(in Köln) von und in der Regie von Daniel Anderson mit tollen Schauspielern, die die spannungsgeladene und immer zwischen Spiel und scheinbarer Realität geschickt hin- und herpendelnde ‚Geschichte‘ zwischen einem Politiker und einem Callgirl als Tour de Force von Gewalt oder dazugehörigen Phantasien, die im Kopf des Zuschauers zünden.

weitere Vorstellungen: 25. und 26.10 sowie 16. und 17.11 jeweils um 20.30 Uhr
eine detaillierte Besprechung erscheint im Rahmen eines Portraits von Volker Lippmann und dem Theater Tiefrot