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Nach fünfeinhalb Stunden bin ich zunächst einmal sprachlos, nicht erschlagen, nicht ermattet, nicht überwältigt, aber vor allem sprachlos, während auf der Rückfahrt die Bilder sozusagen rückwärts im Kopf ablaufen, will die Sprache zunächst nicht zurückkehren, formulieren sich sonst die ersten Sätze, überwältigen mich jetzt immer stärker die Bilder und das, obwohl ich, ich bekenne es ehrlich, eigentlich zu Beginn des Nachmittags keine Lust auf Theater hatte zu Beginn des Abends, obwohl mich das neue Schauspiel Köln in dieser Hinsicht ja bereits in dieser Spielzeit reich beschenkt hatte, mag es an der allgemeinen Befindlichkeit in finsteren Zeiten liegen, jetzt sind ja diese furchtbar grauen Totentage, die aber in der Regel in der Eifel immer das interessanteste Licht zaubern, ich weiß es nicht, aber nachdem ich den Carlsgarten und das Carlswerk betreten habe, noch im Bibeltext schmökern konnte, den mir meine katholische Sozialisation eigentlich komplett verdorben haben müsste, denn Bilderbibel und katholische Eltern, die mich stets in die Kirche schleiften, sie müssten mir ja diesen Text verleidet haben, aber jetzt an diesem so schönen Theaterort in Köln mit seiner gastfreundlichen Atmosphäre, da fühle ich mich auf einmal gut. Ich höre oft an diesem Abend, dass das Carlswerk eigentlich viel schöner ist als die EXPO, wenn man schon nicht im Schauspielhaus sein kann.

Genesis

Aber trotz allgemeiner Religions- und Bibelaversionen, die Anfänge des ersten Buches Mose (obwohl Moses ja gar nicht vorkommt) oder eben Genesis haben mich stets verzaubert, gebannt, warum verstehe ich immer noch nicht ganz, aber sicher etwas besser, nach diesem ganz großen Theaterabend, wobei lang nicht unbedingt eine Qualität ist, denn ich erinnere mich noch gut an Nicolaus Steemanns Achtstundenfaustabend, der etliche Längen hatte und letztendlich nie eine Form fand. Ich erinnere mich vor allem an 1980, The Passion vom Londoner National Theatre bei Theater der Welt in Köln, in der Kirche Groß St. Martin. Wir, die Stehplatzinhaber, waren damals die Statisten von Altem und Neuem Testament, ich denke es waren auch so rund sechs Stunden in zwei Teilen. Stefan Bachmann, der in einer sehr netten, eben einer jener jetzt typischen Ansagen ans Publikum, verkündet, dass es zwei Pausen geben wird, und in der zweiten Pause Eintopf, es macht sich etwas wie Erleichterung spürbar, vor allem aber eine ungeheure Konzentration scheint spürbar, die bis zum Schluss erhalten bleibt.

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Ich weiß nicht, ob dieses Sonntagspublikum, das ich inzwischen mehrfach erlebt habe, anders ist, aber es ist ein tolles Publikum, das vor allem Anderen in der Lage ist, den Worten zu folgen, denn auch, wenn Stefan Bachmann ein Regisseur wunderbarer Bilder ist, die er gerne leicht bricht, ist er erstens ein Meister der Sprache, ein Regisseur, der die ganze Sprachkunst seiner Darsteller einzusetzen weiß, dann erst auch zuweilen so spielerisch mit der Ikonographie und entsprechenden Anklängen umzugehen weiß, dass sich der Eine oder Andere fragen mag, darf man das denn, so komisch sein, so unterhaltsam, so derbleicht, dass es zuweilen nur so spritzt. Aber entgegen dem prall derben Volkstheater von 1980 steht an diesem Abend immer die erzählte, und nicht die gespielte Geschichte, im Vordergrund, obwohl es Spielszenen von großer Kraft gibt, Bilder, an die man noch lange denken wird.

Beginnen wir mit einem der ganz großen Akteure des Abends, wobei zunächst vorwegzuschicken ist, ich habe keinerlei handwerkliche Mängel an diesem Abend entdeckt, (dass der Darsteller des Joseph möglicherweise Katarrh bedingt etwas gehandicapt ist, fällt nicht ins Gewicht, denn darstellerisch hält er diese hohe Qualität aller Schauspieler), wobei besetzungstechnisch der Eindruck entsteht, dass Bachmann jedem seiner Darsteller Respekt und Vertrauen entgegenbringt, sie alle in verschiedenen Rollen so einsetzt, dass jedem ein, zwei Glanzpunkte gegönnt sind.

Ein in Schwarz gekleideter Mann betritt den beinahe dunklen Bühnenraum, er geht einmal um den riesigen Berg aus Lehm, der im Grunde alles ist, vor allem ein Bühnenbild, wie man es in der Zeit der Leerraum-Bühnenästhetik sicher nicht gesehen hat, dass in der Form an den Paramount-Berg erinnert, komplett aus Lehm, fast bis an die Hallendecke des depot eins reicht und die Halle genauso genial ,ausfüllt‘ wie die bisherigen Bühnenbilder, ja eher gestalteten Räume. Die Bühne stammt von Bachmanns Bühnenbildner Simeon Meier, der die Ansätze und Bilder des Regisseurs Bachmann kongenial zu unterstützen weiß und dann beleuchtet von Michael Frank, dem das Kunststück gelingt, diesen Berg immer wieder neu zu beleuchten, so archaisch und ebenfalls kongenial, dass es den Rezensenten, der so langsam beginnt seine Sprache wieder zu entdecken, begeistert, entzückt.

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Dabei hat er einen Augenblick zusammengezuckt, als Stefan Bachmann in seiner kleinen Anfangsrede ans Publikum, in der er geschickt Befürchtungen zerstreut und für sich und seine Sache gewinnt., als er ankündigt, dass man sich vorgenommen habe, den kompletten Genesistext zu geben. Das sind fünfzig Kapitel, unzählige Geschichten, unzählige Figuren und und und.

Nun ist seine erste Frage beantwortet, es wird diese unzähligen und eigentlich selbst für Schauspieler kaum merkbare Litaneien von Stammbäumen des Volkes Israel, Texte, die eben für Juden, Muslime und Christen gemeinsamer Mythos sind und sicher die Ursprünge der schriftlichen Überlieferung bis weit in die Zeiten der mündlichen Überlieferung hineingehen. Es ist eine Meisterleistung der Dramaturgen Barbara Sommer und Lukas Bärfuß, die Entstehungsgeschichte der Texte und den Inhalt  auf knapp drei Seiten zusammenzufassen, neugierig zu machen auf Wiederholungslektüre, alleine um Bilder abspulen zu lassen und ohne Attitude einen Forschungshintergrund zu skizzieren, der vielfältiger kaum sein könnte. Man sollte aber nicht außer Acht lassen, dass es in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte auch viele Menschen gegeben hat, die das, was das Theater macht, das, was wir heute gewöhnt sind, nämlich Fragen zu stellen, diese Versuche und Interpretation mit dem Tod bezahlt haben. Stefan Bachmann zaubert unangetastet hoffentlich endlich diesmal auch von der Kritikermeute, ein ganz, ganz großes Welttheater auf den Betonboden des depot eins, der, und das ist wirklich eine ganz ganz große Kunst, den Spannungsbogen über ca. dreimal hundert Minuten hält. Die zweite Pause inszeniert er in einer Art Vorgriff auf das Ende und es gelingt ihm allenthalben das Kunststück, aber das gelingt auch diesem großartigen Publikum, dass aus Fremden Menschen werden, die miteinander über Theater reden, sich so angeregt unterhalten, dass man am Ende des Theaterabends die Lust verspürt, weiterzureden. Natürlich gibt es auch etwas zu essen, und das ist die großartige Küche des Werkshasen (Sternekoch) ein Eintopf mit Gemüse, Kichererbsen und Staudensellerie, vermutlich vegan oder wenigstens vegetarisch, und es könnte sogar mit dem Fladenbrot zusammen nicht nur der türkischen, sondern sogar der Küche der Region entstammen.

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Auch der Berg des Bühnenbildes erinnert in seiner Lehmfarbe an die Region, wobei er eben symbolisiert, was Menschen, die im nahen Osten gewesen sind, nicht als Abbild , sondern als konkrete Landschaften erlebt haben…

Wie kann man denn auf dem Theater die Schöpfungsgeschichte erzählen, fragt man sich als der schwarzgekleidete Mann, Michael Neuenschwander, der eher wie ein Cowboy, denn wie Gott aussieht, ein wenig vielleicht an einen stilisierten Juden erinnert. Es zeigt bereits zu Beginn, wie ebenfalls großartig Anabelle Witt das Kostümbild angelegt hat, durchaus historisierend, also in Phantasiegewändern vom Zuschauer leicht fortrückend, den Mythos somit bedienend, in Anklängen an das Straßenbild, das man zum Teil in arabischen Staaten erleben mag, also Orient, fern, und die Engel und Gott ohne falschen Schnickschnack, ohne irgendeine Scheu vor Haut oder Nacktheit, und damit beiträgt zu einem ganz nahen Theatereindruck, der aber stets seine archaische Wucht behält. Mythos bleibt, denn vor allem der erste und zweite Teil zeigen eine archaische Wucht, wie ich sie lange nicht im Theater erlebt habe, auch in der Ära Baier nicht, einmal abgesehen von den sich schlagenden Amazonen in den Troerinnen….

Der schwarze Mann umrundet den Berg, der eigentlich nur Silhouette im Hintergrund bleibt, ein wenig Nebel wabert in der Dunkelheit, dann stellt er einen neutralen mattierten Notenständer auf und einen Klappstuhl. Dann setzt er sich, der Mann, und beginnt. Klar, das ist Gott, aber die große Kunst Michael Neuenschwanders ist, dass er nicht nur die komplette jahwistische Überlieferung am Stück vorträgt, also nur erzählt, aber so großartig nah, dass man diesen Gott als seinesgleichen betrachtet, er eine Lehrstunde in Sachen Theater erzählt. Im Grunde braucht es nur eines großen Schauspielers und das Theater beginnt. Während sich unmerklich – ich weiß nicht wie lange – ich denke über eine Stunde lang, der Berg entfaltet, im Licht entfaltet, findet eigentlich nur dieser großartige Schauspieler statt, der den Text erzählt, den man doch eigentlich zu kennen glaubte, den ich wirklich vielleicht damals schon unbemerkt vom Theater und von Theater in meinem Kopf entlang der Bilder meiner Kinderbibel in meiner Phantasie für mich inszeniert habe, denn meine Mutter pflegte mich mit der Bilderbibel, wie heute die Mütter mit Fernsehen und Gameboy, ruhigzustellen.

Und während ich sitze und genauso mucksmäuschenstill in meiner Kathedrale der Säkularisation, dem Theater, diesem Text folge, staune, mit wieviel Interesse man beinahe seitenlangen Genealogien folgen kann, und wie wunderbar Theater ist, wenn da einer nur mit großer Kunst erzählt, und Gott und Bachmann entgehen der Versuchung, die doch so bildgewaltigen Geschichten von der Entstehung der Welt, Eva, Adam und der Vertreibung aus dem Paradies, Kain und Abel,  zu bebildern. Es ist die Kunst eines Schauspielers, die uns da vor diesem langsam aus dem Dunkel hervorgeleuchteten Berg packt und trifft, denn die Geschichte der Welt und ihre Anfänge, diese Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, der Mühe des Irdischen und und und, sind unsere Geschichten. Man muss ja nicht Kästner und die wilden Kerle zitieren, um zu spüren, dass da unsere Geschichten verhandelt werden vor einem Gott, der ein wenig selbstgefällig ist, von sich in der dritten Person spricht und erzählt und redet und schwadroniert und fast wie ein Wortmagier das Publikum verzaubert, bevor er zum allerersten Mal bebildert. Die Arche Noahs ist ein kleines Papierschiff und die ganze Sintflut, die außer Noah den Rest der Menschheit vernichtet, ist etwas Wasser aus einer Plastikflasche, die Gott, der Gott im Theater, dieser Wortgott, in eine Kuhle des Lehmberges gießt. Und während Noah den Raben und die Taube schickt, einfach eine pantomimische Handbewegung, und er ist viel glaubhafter, als menschengedachter Gott, als es jeder Budenzauber sein könnte. Und während das Wasser in der Kuhle versickert und das Wasser der großen Flut abläuft, Gott mit sich den neuen Bundesschluss erzählt, denkt man, dass Genesis wirklich auch die Urgeschichte des Theaters ist, wie Barbara Sommer im Programmheft schreibt:

Die Genesis ist Theater im ursprünglichen Sinn. Ein Volk erkundet die Beziehung zu seinem Schöpfer, zum Regisseur des großen Volkstheater. Noch ist vieles offen, undefiniert, Versuch und Irrtum bestimmen das Geschick, es wird probiert und wieder verworfen, doch mit der Zeit verdeutlichen sich die Regeln, nach denen gelebt, geliebt und gebetet werden soll.

Zwei Dinge bleiben auffällig, bereits in der Erzählung Gottes, aber wie sollte es auch anders sein. Die Menschen beten nicht zu Gott, sondern dieser Gott mischt sich ein, er redet mit den Menschen, er ist ihnen ganz nah, wobei die fehlende Bearbeitung im Sinne von Streichungen oder auch Ergänzungen wohl zeigt, dass Bachmann erstens ganz großen Respekt vor dem Text, der Geschichte aller Geschichten hat, aber keine falsche Ehrfurcht, dass er Respekt vor seinem so passenden Kreativteam hat, dass er Respekt vor der Leistungsstärke seiner Darsteller hat, die im akustisch meines Erachtens komplett überholten Raum von depot 1 nebst ganz geschickter Hintergrundabschirmung mit Vorhang und zusätzlich der Akustik dienenden (?) Schrägen der hinteren Hallenecken hat, Respekt hat auch vor dem Publikum, dem er ganz allmählich und in der Bilderzahl und Bilderstärke sich steigernden Inszenierung mit einem wunderbaren Gefühl für Rhythmus und Tempi, wie ich sie lange nicht gesehen habe, auch immer mal wieder das Bedürfnis nach einem Lacher bedient, so ernst darf das nicht werden, denn sonst holten mich die Dämonen meiner katholischen Sozialisation wieder ein. Die Fragen, wie es sein kann, dass Noah über neunhundert Jahre alt werden kann, beantwortet Bachmann nicht, das ist auch Respekt vor dem Text, die ,Geheimnisse‘ zu lassen, den Mythos zwar mit archaischer Sprach- und Bilderwucht an den Mann und die Frau zu bringen, aber nicht zu nah, so dass er seinen ,Zauber‘ verliert.

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Erst gegen Ende des ersten Teils tauchen die ersten Menschen auf, Abram aus dem Jahwe seinen Auserwählten Abraham macht und Sarai, eigentlich Sarah, zwei Urwesen, die sozusagen erst noch den aufrechten Gang lernen müssen, zwar schon kleidertragende Nomaden der Wüsten, die ersten Menschen aus den Steppen Afrikas, Mann und Frau, wobei für mich die Motivnähe zu Ägypten verblüffend war, wie so manch andere Geschichte, dachte ich doch, meine Bilderbibel hätte mir genauso wie der Religionsunterricht der ersten Klasse, das Einzige, was mich in diesem Schuljahr fasziniert hat, alle Geschichten unvergessen ins Gehirn gebrannt. Einiges war mir schon bei der teilweisen Vorablektüre aufgefallen, aber alles hatte eine solche Intensität in der Erzählung eingenommen, dass ich akzeptiert hätte, wenn dieser Gott einfach weitererzählt hätte, aber das hätte vielleicht keinen ganzen Abend getragen.

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Jetzt ist es Annika Schilling als ebenso großartig erzählende Sarah – Gott redet nur noch, wenn Gott spricht – die tragende Figur neben dem Abraham von Niklas Kohrt und nach knapper Zeit, zwei schwarzgekleidete Herrn, die manchmal sogar Westernikonographie bedienen, treten als Engel eins (Simon Kirsch) und Engel zwei (Gerrit Jansen) auf, sind genauso göttlich und nah an den Menschen wie der Einzelgott vorher am Zuschauer, sie übernehmen Ezählpassagen und erzählen so die nicht mehr ganz so bildgewaltige Geschichte von Abraham, seinem Leben, seinem Alter und seinen Söhnen…und obwohl ja eigentlich immer nur von den Männern und ihren Söhnen die Rede ist, ziehen die Frauen im ersten und vor allem auch im zweiten Teil die Strippen, sind sie es, die eigentlich die Geschicke, ja fast im göttlichen Sinne, beeinflussen, obwohl sie doch – jedenfalls im Bild der katholischen Kirche, die Ursache dessen sind, was Unheil über die Welt gebracht hat. Bei Bachmann und somit also wohl auch trotz allem nicht unbedingt in der Genesis, auch wenn sie scheinbar in der zweiten Reihe stehen und es die wunderbare Larissa Aimee Breidbach und Melanie Kretschmann eigentlich gar nicht verdienen, dass so wenig ,weibliches Spielmaterial‘ vorhanden ist…Melanie Kretschmann mit dem Josephbruder Naphtali im dritten Teil des Abends ein Chargenkabinettstückchen abliefert.

Das Kapitel siebzehn, die göttliche Einführung der Beschneidung, gerät zum leicht blutrünstigen Ritual, dessen archaische Fragwürdigkeit einem Menschen von heute schwer eingängig ist, und Bachmann fügt sicher nicht unbeabsichtigt eine zusätzliche Ebene ein. Die restlichen Männer des Ensembles an diesem Abend treten zögerlich vor den Urvater der Väter hin, und das Messer taucht auf, ein einfaches Messer, mit dem er die nackt mit vors Genital vorgehaltenen Händen antretenden Nochnichtjuden beschneidet, so dass das Blut spritzt – wer kann je die Bilder nackter so dastehenden Männer in der Holocaustikonographie vergessen – eigentlich kaum vorstellbar, dass bei dieser Beschneidung nie Männer zu Tode gekommen sind, obwohl es ja laut Gott das Zeichen des neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen ist, obwohl Gott den Menschen zürnt. Haga, die Abrahams Sohn Ismael austrägt, da Sarah bislang ja unfruchtbar ist, tritt als Schwangere auf. Die Anfänge der Welt als Geburtsdrama auf dem Lehmberg, das sind immer ganz einfache starke Bilder und ich kann mich nicht erinnern , Bilder wieder solch archaischer Wucht gesehen zu haben. Vollkommen unverständlich, dass diese Inszenierung nicht zum Theatertreffen eingeladen wurde, aber die schauen halt lieber Jelinek, was Bachmann ja auch kann.

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Ismael bleibt nackt am Fuße des Berges liegen, während Gott, der sich immer und überall noch ins Leben der Menschen einmischt, mit donnernden Tribünenvibrationen den Untergang von Sodom herbeiführt, kein Regen, kein Scheinwerferblitzen, nur ein angedeutetes Erdbeben, das ist der Untergang Sodoms, als Ohrenspektakel Bilder in den Kopf rammt, nachdem Abraham für die Gerechten der Stadt gebeten hat und Lot (Nikolaus Benda) sich in den Pöbeleien der Sodombewohner, derer, die Gott vernichten möchte, fast verliert als gastfreundlicher Mann, während die Engel – ausgedrückt  mit einem kleinen Lichtwechsel ins Nachtgrünblau – die Bewohner Sodoms mit Blindheit schlagen. Auch der Versuchung, Lots Frau zu zeigen, die zur Salzsäule erstarrt, entgeht Stefan Bachmann. Und hatte bislang nur Gott den Lehmberg mit seinen beiden Mitstreitern erklommen, nachdem er sich quasi vervielfacht hat, geht es dem Ende des ersten Teils zu, nach einem auch kostümmäßig exquisit ausgestatteten kleinen Zwischenspiel von Überlebenden des Sodomdramas, Lot, und den ihn verführenden beiden Töchtern (Melanie Kretschmann und wieder Larissa Aimee Breidenbach), was Gott auch nicht so wirklich zu schmecken scheint, na ja, so entstanden zwei Völker, wenn Gott es nicht gewollt hätte….

Dann wird dem Abraham sein Sohn geboren und im Höhepunkt des ersten Aktes erklimmen der kleine Isaak und sein alter Vater den Lehmberg, und die Frage des wirklich zu Tränen rührenden Isaak nach dem Opfertier und die ausweichende Frage des Vaters, erinnern den Rezensenten an eine der Traumen seiner Kindheit: Ich habe nach der wiederholten Lektüre dieser für mich als Kind nahezu unfassbaren Geschichte – nur dazu angetan masochistische Traumen zu produzieren – meinen Vater gefragt, ob er denn Gott auch so lieben würde wie Abraham. Und mein Vater – sei ihm mal zugute gehalten, dass er in seiner Abrahamverehrung diese Geschichte ausnahmsweise nicht präsent hatte – hat mit JA geantwortet. Ich habe danach Situationen gemieden, in denen mein Vater aushäusig mit mir alleine war, obwohl es zum Glück Jahre gedauert hat, bis ich im Kontext von Warnungen vor sexuellem Missbrauch vor Männern mit Messern gewarnt wurde. Mein Vater besaß ein altes Jagdmesser in seiner Schreibtischschublade, das ich oft mit Gruseln betrachtet habe. Danach las ich ein Märchen der Gebrüder Grimm oder in meiner Bilderbibel – ungelogen, da war ich vier oder fünf oder sechs Jahre alt – und konstruierte mir in meinem Kopf ein Puppentheaterstück, das ich dann mit meinen Kasperpuppen nachspielte, auch ein Stück Theatersozialisation, war ich doch zwei, drei Jahre später vom  Menschentheater im Schauspielhaus – die damals üblichen Kinderweihnachtsmärchen – trotz meiner Lieblingsbücher vom Räuber Hotzenplotz so enttäuscht, dass es bis zum Hamletabschied mit Vostell der Ära Heyme in Köln gedauert hat, bis ich wieder ein Schauspieltheater betreten habe.

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Abraham und Isaac erklimmen den Berg, der den Schauspielern zuweilen auch fast akrobatische Körperleistungen abverlangt, und von Gott flankiert bettet Abraham seinen Sohn auf die Lehmspitze und erhebt das Messer, ein echter Cliffhanger, während das Licht erlischt und es eine ganze Weile dauert, bis das Zuschauerlicht das Pausenzeichen gibt, starker Beifall, man hört bereits in der ersten Pause keine kritische Stimme (mehr) nach dem durchaus wohlwollenden Beifall – am Rand erwähnt, dass es bei der hervorragenden Akustik der Beifall als Einziges schwer hat, denn im Schauspielhaus krachte selbst dezenter Beifall so stark von den Holzpaneelen her, dass er ein applaudierendes Publikum regelrecht befeuerte, in den beiden depots muss man als Zuschauer für Beifall wirklich arbeiten, damit er unten auch so ankommt, wie es sicherlich vom so neugierigen und gekonnten Kölner Publikum gewollt ist.

Die  ,Opferung‘ Isaaks wird zu Beginn des zweiten Teil wie nach einer Werbepause noch einmal zelebriert, bevor  Gott Abraham in den Arm greift und der als Ersatzopfer dargebotene Widder als Pappkopf auftaucht und das Schächerritual auf der Spitze des Berges vollzogen wird. Das Messer bleibt immer im Bild, wie es eigentlich von Beginn der Menschenauftritte immer im Bild war, Sinnbild fürs Beschneiden, fürs Schächen, für von Gott geforderte Opfer, im Boden steckenbleibend, im Berg während der ganzen Joseph Geschichte, während des dritten Teils.

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Sarah stirbt, der Tod hält Einzug in den Abend, er wird nicht zelebriert, er verliert sich sozusagen im Dunkel des Hintergrundes. Abraham erwirbt vom ersten wirklichen Kostümträger des Abends in den so Region typischen Verhandlungen ihr Grab.

Dann schickt Abraham seinen Knecht aus, um eine Frau für Isaac unter den Kanaaniterinnen zu suchen und der urkomische Stevko Hanushevssky darf als Großknecht Abrahams nicht nur die grandiose Melanie Kretschmann, die als  Rebecca ins Spiel tritt, sondern auch den ersten Engel als Kamel als Panflötenclown ,befreien‘, und so mit seiner Papppanflöte loslegen, dass es einem wie die Geburt der Musik aus dem Geist der Erzählungen vorkommt, nebst Tanz, so rasant und gleichzeitig ironisch, dass das Kamel, der Engel und die rotgewandete Rebbecca sowieso mitwippen (müssen), Szenenapplaus, den ersten, aber nicht einzigen des Abends inbegriffen….

…und der Rezensent gießt sich nach fünfeinhalb Stunden Theater, nebst zweieinhalb Stunden Fahrt und nach rund drei Stunden Schreiben, einen Rotwein ein und macht erst mal eine Schreibpause…..

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Abraham stirbt und aus der Geschichte Abrahams und Isaaks, die sozusagen schon von einer göttlichen Dreimännlichkeit begleitet wird, die immer wieder in ihr Leben eingreift, wird die Geschichte, Rebeccas, Isaacs, ihrer so vollkommen verschiedenen Söhne Esaus und Jacobs. Esau ist fast ein Wilder wie Laban, könnte eine Kombination aus wilderndem Pan und lebenszugeneigtem Dionysos sein, denkt sich der Rezensent, und genießt diesen erneuten Bruderzwist, in dem jetzt Mutter Rebecca mächtig die Fäden zieht, denn der Zweitgeborene Jakob (Simon Kirsch) entpuppt sich als der zwar Schmächtigere, aber der ,Naturbursche‘ Esau Benjamin Höppner) mit äußerst starker Bühnenpräsenz ist der geballten Intriganz von Mutter und Sohn nicht gewachsen und wird so Segen und Erstgeburtschaft verlustig. Gott ist eigentlich nicht mehr als Handelnder präsent, er spricht zu den Seinen nur noch im Traum und im epileptischen Anfall, im Feuer, in dem der erwachsen gewordene Isaac die Götzenbilder verbrennt, ein Motiv, was sich im Alten Testament immer wiederholt, das Feuer, das Götzenbild….

Und während Jakob nicht nur den Bruder, sondern auch den Vater überlistet, neigt sich die Geschichte von Abrahams Sohn Isaac dem Ende zu. Aus der Geschichte Isaaks wird, mit Ausnahme der Esaubrudergeschichte, die Geschichte Jakobs und seiner Söhne und den vielen Frauen, die ihm seine zwölf Söhne gebären. Bildgewaltig ist auch der zweite Teil, aber es ist wohl die mangelnde Vertrautheit des Rezensenten mit dieser Passage, die verhindert, dass sich die Bilder mit dieser Macht in seine Gehirnwindungen einbrennen, so markant sie sind, das Zelt, das Schattentheater der Überlistung Isaacs durch Jakob, der Zorn und der Schmerz Esaus, die Knechtschaft bei Laban, die Töchter und Mägde Labans, die Geburt der vielen Söhne, deren Geburt der junge Jakob sozusagen selbst vornimmt, indem er das Geschrei der Frischgeborenen markiert…hier wird die Hauptaufgabe der Frauen in einem durchaus bewegenden Bild auf den Punkt gebracht und gleichzeitig der für unsere Verhältnisse schwer nachvollziehbare ,Brauch‘ Mägde und Mehrfachfrauen stellvertretend zu beschlafen, um Nachwuchs, vor allem männlichen Nachwuchs, zu zeugen und sicherzustellen. Er ist wohl in dieser archaischen wie in den Nomadenvölkern der Gegenwart genauso Zeichen für Reichtum wie die riesigen Viehherden. Einer der Mägde, Bilha, ist Marek Harloff, der im dritten Teil dann als Josef brillieren wird, wie hier Esau. Wuchtig der Wirkung, das lebende Schaf, das er in den Wirren um Laban, die Söhne, die Frauen und den Bruder Esau über die Bühne trägt. Es wehrt sich leicht, aber wer je die Jungen auf und neben den Eseln in den Palästinensergebieten gesehen hat, die ihre Tiere wie der gute Hirte auch durch die Gegend tragen, der fühlt sich mit diesem Bild an diese Bilder und an Zustände beinahe wie in diesen Geschichten und vor ein paar tausend Jahren erinnert.

Der zweite Teil des Abends nähert sich in einer grandiosen ersten Videoprojektion dem Ende, nach dem Erlöschen des Feuers träumt Jakob von der Himmelsleiter und Gott steigt vom Lehmberg herab, und im Kampf Gottes mit Jakob und Jakobs mit sich selbst wird aus dem Gott des ersten und zweiten Teils Jakob, verschwindet auch sozusagen Gott von der Bildfläche, er spricht nicht mehr direkt zu den Menschen, ist nur noch indirekt in den Erzählungen und den Träumen präsent, Gott ist der Urgrund allen Geschehens, aber er ist fortgerückt von den Menschen, er wird ein strafender und auch grollender Gott, der nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch indirekt präsent ist. An seine Stelle treten Jakob, der Pharao und Joseph. Auch die beiden Engel sind verschwunden. Im dritten Teil wird ein Trio aus Nikolaus Benda, Guido Lambrecht und ??? die Erzählerfunktion übernehmen, in der Djalaba, dem traditionellen Hemdgewand der Männer der Region.

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Aber vorher gibt es nach den beiden theatralischen Highlights des zweiten Teils, dem Kampf Gottes, des bisherigen jungen Jakobs und des zukünftigen alten Jakobs, also Jakobs mit sich selbst und mit Gott  und Jacobs Videoprojektionstraums, in dem er die auf den Lehmberg projizierten Stufen der erträumten Himmelsleiter, eine Pause, in der das Publikum bei dem vorzüglichen Kichererbseneintopf und Fladenbrot ins Gespräch kommt, in einer beinahe biblischen Situation beieinander sitzt und sinnbildlich das große Wiedersehensmal von Jakob und seinen Söhnen vorwegnimmt, wo in ähnlichen Schüsseln und mit dem gleichen Eintopf im Grunde eine beinahe utopische Situation entsteht, etwas Gemeinsames, das den Geist des letzten Teils des immensen Theaterabends  sozusagen energetisch, geistig und utopisch befeuert….und Stefan Bachmann in Anlehnung an Filmikonographie aus dem Westernmilieu ganz stark bebildert, was der bzw. den Geschichten keinen Abbruch tut und gleichzeitig, wie schon Rebbecca im zweiten Teil, eine Brücke schlägt zur Inszenierung der Kapitalismusbibel DER STREIK von Ayn Rand vor gut zwei Wochen, denn GENESIS zeichnet sich durch den gleichen präzisen Zugriff auf den Text, die gleiche Lust an der Bildassoziation, die gleichen gekonnten Tableaus und ein zumindest in Teilen ähnlich gelungenes bis kongeniales Kreativteam aus.

Beim Streik steht am Ende ein ironisch unterlaufenes Happy End im vermeintlichen Garten Eden, so wie es Gott im schwarzen Westerndress aufzeigt, aus dem zu Beginn in Gottes Erzählung Adam und Eva vertrieben worden sind, und die Rebbecca von Melanie Kretschmann zeigt sicher nicht ungewollt ,Ambitionen‘ der von dieser wunderbaren Schauspielerin mit dieser so ungewöhnlichen und modulationsfähigen Stimme im STREIK dargestellten Dagny Taggert. Mehrfach lassen sich Brückenschlage erahnen, ob vom Rezensenten nur imaginiert oder tatsächlich gewollt.

Zum Beispiel auch in dem traumwandlerischen Westernsextett, das mit einem an Johnboy Walton erinnernden Träumer Joseph und eher an die Daltons aus Lucky Luke erinnernden  Josephbrüder sozusagen in der Verdoppelung klare Geschichten markiert, ohne dass deswegen die Macht und Kraft der Bilder gebrochen würde. Dazu tragen die jetzt sich zur Pracht entfalteten Kostüme am Hof des Pharaos bei, waren sie im ersten Teil noch rein schwarz-weiß, färbten sie sich vor allem bei den Frauen im zweiten Teil ein, wurden zur originellen ,Maskerade‘ bei Esau und Laban, so werden sie jetzt ganz originell oder sogar prachtvoll, der Isaac des ersten und zweiten Teil flankiert die Texterzähler, die kunstvoll verwoben mit den in breiteren Tableaus agierenden Darstellern die Geschichte vorantreiben, weiterhin große Erzählkunst darbieten in so raschen Wechseln mit den agierenden Schauspielern, dass ein weiterhin kunstvoll auf drei Darsteller verteilter Erzähltext mit nun noch breiterer Darstellung zum Theatergobelin verwoben wird, in dem man sich eigentlich ohne Ende weiter schauend nun endgültig verlieren möchte, aber eben nicht im jelinekschen Überwältigungstextheater verschwimmt, sondern immer präzise klar bei sich und seinen Erinnerungen, Geschichten und Assoziationen bleiben darf, immer zurückgelehnt und vollkonzentriert, denn sonst würden einem nicht nur Fitzel , sondern ganze Passagen fehlen und beim Wiederlesen stellt man fest, dass das eigene Kopftheater nur selten Stefan Bachmann und seinem Kreativteam das Wasser reichen kann, abgesehen von den vielen helfenden Händen am Rand, im Hintergrund oder hinter den Kulissen.

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Auch der Eintopf im Magen, mit dem man genährt, aber nicht belastet den blutrot beleuchteten Lehmberg beschauend zurückkehrt, wohlwissend, dass man jetzt die Geschichte und Geschichten von Jakob und seinen Brüdern und Joseph konfrontiert werden wird. Die bisher ganz sparsam eingesetzte Musik von Max Küng gibt, wie die Kostüme, die Westernrichtung vor. Es ist ja auch eine ziemliche Räuberpistole, die Geschichte des Träumers Joseph, so wunderbar Marek Harloff als Hippieverschnitt mit langen Haaren und Latzhose, der ein Träger fehlt, er war ja schon der nackt daliegende frischbeschnittene so bedauernswerte Ismael im ersten Teil gewesen, und schwingt sich trotz der belegten Stimme zum großen Mittelpunkt des dritten Teils auf, es ist aber so angenehm zu sehen, dass Stefan Bachmann alles ausreizt, was ihm seine Schauspieler anbieten oder möglich machen, aber keinerlei Starattitüden fördert. Das hat es ja schon oft in Köln geheißen, aber ich habe es selten so konsequent umgesetzt gesehen, wie in diesen ersten fünf Regiearbeiten der Ära Bachmann und der Spielzeit. Und ich denke, wer von den Kritikerkollegen jetzt noch auf der Jammerleier der Anfangskritik herumgeigt, hat nicht wirklich Ahnung von Theater, sondern ist der berühmte Eunuch, der meint zu wissen, aber nicht kann.

Es sei zwischendurch gestattet, noch einmal vielleicht bei der gegebenen Nüchternheit von Beschreibung und Analyse, zu sagen, dass dieser so herrlich lange, nie langweilige und nicht zu lange Theaterabend sicher ein absolutes Highlight ist, in Köln und in der Republik. In Hamburg läuft es so gut nur in einem Hauptheater, dem Thalia, im anderen läuft es noch gar nicht, und von dem was kommt, ist vieles Konserve aus Köln. Durchaus legitim aber, ob es dann am Ende so gut läuft, wie in Köln jetzt im von vielen Zuschauern wesentlich mehr ,gemochten‘ Quartier Carlswerk, darf man ja mal bezweifeln, zumal mich schon die letzte Spielzeit in der EXPO nicht mehr wirklich überzeugt hat.

Bevor das jetzt zur Abschlusshymne gerät, die Würdigung des letzten Teils, der Josephs Geschichte, dessen Variante bei Thomas Mann jedem nach diesem Theaterabend ans Herz gelegt sei, aber Vorsicht, was bei Bachmann ein paar Sequenzen von bestechendem Videotraummosaik unterlegt bzw. aufprojiziert sind, in denen Anika Schilling noch einmal als marylinnlaszives Weib Potiphars  brillieren darf in eine der wenigen Frauenrollen, Melanie Kretschmann bleibt nur noch die Hosenrolle des Joseph Bruders Naftau, und Larissa Aimee Breidenbach muss sich hier mit der Rolle der ägyptischen Hofdiven begnügen, diese Szenen geraten Mann zu einem vielhundertfachen vierbändigen Roman, der aber auch wirklich noch das letzte Fitzelchen der Joseph Geschichte beleuchtet. Bei Bachmann gibt es das in einem geruhsam erzählten, aber keineswegs zu langen Bilderbogen. Ich habe es fast verdrängt, die berührende Geschichte von der Schändung Dinas gibt der wirklich dauernswerten Vergewaltigten noch ein kleines Stück Raum, wobei ja eigentlich die zur Westernmusik heran geeierten Brüder Josephs sind, die neben dem in der Reihe herausstechenden Träumer, das Bild dieses dritten Teils dominieren, nicht vergessen das Messer, mit dem sie erst Joseph töten wollen, dann das Zicklein abstechen, mit dessen Blut sie sein Gewand besudeln, um dem Vater Josephs Tod plausibel zu machen, ach ja, inzwischen ist auch Rachel verstorben, und sie hat in die Schar der Brüder einen wirklichen Knirps gespuckt, der alles aufmischt, dass es eine wahre Pracht ist und möglicherweise die ihn begleitenden Brüderdarsteller durchaus herausfordert.

Das Pünktchen auf dem I des Abends sind die beiden Bachmann-Kinder Bela und Robin, die nicht nur mit einer hinreißenden Unbefangenheit auf der Bühne agieren, als wäre es ein Stück Spiel vom wirklichen Leben, sie zeigen eine auch sprachlich berührende Unmittelbarkeit, wie es kein inszeniertes Kamerakind hätte sein können. Da sieht man diese fast traumwandlerische Sicherheit der sich letztendlich immer bescheiden gebenden Bachmannmittel, und in puncto Spiellust und Spielfreude sind die beiden von niemand aus dem Ensemble zu übertreffen, auch beim Applaus nicht. Sie jagen hinaus und hinein in die Applausordnung, , dass es einfach nur Lebenslust zeigt, Theaterlust und Existenzfreude….eine Applausordnung, die wieder wie in allen Produktionen bisher keine Einzelverbeugung, sondern ein geschlossenes Ensemble zeigt…

Genesis

Nachzutragen aus dem zweiten Teil wäre das Schlammcatchen von Laban und Jakob, das in der Sinnflutschlammmulde vonstatten geht, und Jakob vor seinem Traumsieg als Verlierer sieht, der Berserker Esau schwingt seinen Hammer, als wäre er einer der neuen Götter, als wäre er ein Bruder des Götterschmieds, und so setzt sich die fast unendlich scheinende Vielfalt der Bilder in den dritten Teil des Abends fort, zaubert das Licht aus dem Gebirge und Lehmhügel eine unglaubliche Vielfalt an Sinneneindrücken, nein, das ist nicht nur Lehm, das scheint alles zu sein, von Tod bis Gold, schon nicht mehr beschreibbar die Vielfalt der vom Lehmgebirge ausgelösten Assoziationen, damit waren schon zwei Elemente der ursprünglichen vier Elemente berührt, die sonst gerne auf Bühnen verwendeten Elemente Wasser und Feuer hat die Crew dieses Abends verkleinert, am Fusse des Berges abgehandelt….

Der letzte Teil erzählt dann in der gleichen Bilderflut die Geschichte Josephs, seiner Brüder, denen er mit seinen naiven Träumereien gewaltig auf den Geist geht, die ihn erst töten, dann verkaufen wollen. Joseph landet schließlich in Ägypten, wo er es schließlich nach Träumen und seinen Deutungen wie ein Sonntagskind zur Herrschaft über das Land bringt. Eine der anrührendsten Szenen ist die des nackten Joseph, der knapp unter der Spitze und zu Füssen des Pharao, sich nur mühsam haltend, um sein Leben kämpfend dem Pharao seine Traumdeutung erklärt. Er wird künftig der Gott sein, er wird über seine Brüder herrschen, ganz so, wie er es geträumt hat. Bachmann, der die Götter in diesem dritten Teil beseitigt hat, so wie es der Text ,vorsieht‘, lässt quasi offen, ob das Bewusstsein das Seiende geprägt hat oder das Seiende das Bewusstsein, so wie er sich den ganzen Abend schon keiner Interpretation des Textes aus den Prämissen einer säkularisierten Welt vordergründig stellt, sondern interpretiert, indem er einfach erzählen lässt. Dabei holt er den ja letztendlich fremden und rätselhaften Text um Vieles näher an die heutigen Zuschauer, als es jede Interpretation könnte. So lässt er jedem Zuschauer die eigenen Projektionsflächen und fesselt doch mit großer Theaterkunst von Anfang bis Ende, so wird der quasi trotzig herausgerotzte Genealogiemonolog des ESAU zu einem weiteren Highlight des letzten Teils der großen und langen Reise, die Stefan Bachmann am Anfang versprochen hat, und auch Jörg Ratjen weiß mit seinen Erzählungen über Onan zu begeistern, hier fühlt sich der Rezensent aufs Übelste an Vatervorhaltungen erinnert, die ihn ein Leben lang gehemmt haben, so dass er sich in Analogie zur katholischen Sozialisation mit diesem scheißmoralischen Zeigefinger, der dieser Inszenierung fehlt, denn Stefan Bachmann bedient zwar keine Ideologie, aber er bekämpft sie auch nicht, ich denke, hätte er diesen Weg verfolgt, wäre er im Irrgarten der Theologen gescheitert, so rettet er einen der ältesten Texte nicht nur für die Bühne, sondern auch fürs HEUTE. Ich würde jederzeit eine weitere Aufführung an Stelle jeder inter- und innerdisziplinären Diskussion bevorzugen.

Die Begeisterung der Herrschenden für die Traumdeutungen Josephs lässt mich auch wieder an John Galt denken, den lange gestaltlosen Helden des STREIKS. So wie Joseph die Dinge im Reich des Pharao anpackt, erinnert er ein wenig an die Tatkraft der Dagnies, Reardens und D‘Anconias, auch so ein epischer Bilderbogen, der in seinem sanften Beharren auf der Tatsache, ein Theaterabend müsse analog zum Kinoprogramm oder Fernsehfilm höchstens neunzig Minuten dauern, sehr sympathisch daherkommt….Stefan Bachmann erzählt und lässt erzählen und das ist so wunderbar, das ist oft noch besser als Fußball…

Genesis

Der Abend geht zu Ende, wie die Pause sich gestaltet hat. Mit dem Wiedersehen und dem Tod von Jakob und Joseph an langen Tischen und einem gemeinsamen Essen, der Quelle menschlicher Kommunikation, ein wenig zur Nahrungsaufnahme oder zum Verhandlungstableau verkommen. Dem Dunklen am Lebensende wird in der Gemeinschaft der Familie quasi die Speerspitze genommen, für den kleinen Benjamin gibt es ein paar Kabinettstückchen zu tun, die ja eigentlich gar nicht so bösen Brüder erhalten ein wenig Demütigung, alle sind furchtbar beredt bis zur Geschwätzigkeit. Ist das nicht so wie in so vielen Familien: Neurosenküchen, die schrecklich laut sind, aber ist das Theater etwas Anderes, da wird soviel Herzblut verhandelt, so viel Empathie der Schauspieler und Kreativen, dass man bisweilen denken mag, dass das Theater das Leben ist und das Leben Theater. Solche Abende gehören vielleicht zu den ganz großen Kunstwerken, weil sie durch Intensität, nicht durch Überwältigung treffen, berühren und den Zuschauern immer weiter Lust auf noch mehr machen.

Die Standing Ovation am Ende, beharrlich und sehr sehr angetan, nicht euphorisch, zeigt, dass Stefan Bachmann und sein Ensemble längst in Köln angekommen sind. Indem sie sich Handschrift Abweichungen vom Einheitsbrei der großen Häuser leisten, mögen sie vielleicht nicht alle Kritiker und Beckmesser überzeugen, mich aber nicht erst jetzt. Und wer sich leise umhört, der merkt, dass die Kölner Theaterbesucher an diesem Abend erstens nix zu meckern haben und zweitens Karin Baier gar nicht unbedingt hinterhertrauern, ohne ihre Leistung zu schmälern. Zu viel Jelinek gibt eben auch Gehirnverstopfung, auch wenn es das hoffentlich ebenfalls noch zu sehen geben wird.

Im Programmheft steht unter dem fett Gedruckten GENESIS Die Bibel Teil eins und die Textfassung: Jerusalemer Bibel. Vielleicht hat Stefan Bachmann irgendwo längst eine ,Verlängerung‘ angekündigt. Ich nehme es mal als bewusster Nichtzeitungsleser der Monopolpresse in Köln als Ankündigung mindestens einer Fortsetzung, vielleicht gerade Bücher des alten und neuen Testaments, die man nicht so kennt. Ich denke, ich wäre nicht der Einzige, und Bachmann hat doch Erfahrung mit dicken Büchern und langen Theaterabenden. Das ist wunderbar. Danke…..

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