Überschrift Der Künstler, der Wahnsinn,  das Leben und ICH Schauspiel Köln zeigt als Übernahme aus Hamburg vom Thalia Theater Werner Schwabs geniales Drama DIE PRÄSIDENTINNEN in einer nicht weniger genialen

Obwohl ich beinahe alle Stücke Werner Schwabs gelesen habe, obwohl ich mich noch gut an das Telefonat mit seiner Theaterverlagslektorin erinnere, nachdem Werner Schwaab 1994 in der Neujahrsnacht an einer Alkoholvergiftung gestorben war, die Werner Schwab als netten, aber vollkommen unbürgerlichen Menschen deutete, der sich im Grunde zu Tode gearbeitet hat, obwohl auch nach seinem Tod seine Stücke nicht in Vergessenheit geraten sind, obwohl seine Stücke vor allem so theatertauglich sind, weil sie Bombenrollen für tolle Schauspieler enthalten, obwohl ich mich theatralisch an Auszügen seines Stücks, seiner Faustvariation Faust :: Mein Brustkorb :: Mein Helm abgearbeitet habe, obwohl sprachgewaltige Erneuerungen durchaus aus Österreich zu kommen pflegen, man denke an den großen Peter Handke, Thomas Bernhard, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und und und, ich habe trotz all dieser Umstände noch nie ein Schwab-Stück auf der Bühne gesehen und nach diesem einfach nur genialen Theaterabend werde ich mir vielleicht Die Präsidentinnen höchstens noch einmal in dieser Inszenierung von Jan Bosse ansehen, denn perfekter geht nicht mehr.

Es gibt diese Kultinszenierungen im Theater, die über die Jahre eine so fast traumwandlerische Sicherheit entwickeln, die von Stadt zu Stadt wandern und an denen man weder Fragen noch Kritikpunkte findet, nach deren Ansicht man in Superlativen schwelgen möchte, nach deren Erlebnis man im Grunde keine andere Inszenierung von Text bzw. Stück man mehr ansehen möchte, obwohl doch gerade die stetig andere Interpretation den Reiz des Theaters ausmacht. Jan Bosses Inszenierung im absolut kongenialen Bühnenbild  von Stephen Laime, dem alles andere als nur funktionalen Kostümbild, gipfelnd in der Abendgarderobe, mit der sich die drei ,Präsidentinnen‘ für das FEST ausstaffieren, ist so ein magischer Moment von Theater.

Das Ende ist wieder der Anfang, aber während Schwab eine vollkommen überzeichnete Variante des Theater auf dem Theater wählt, lässt Bosse das an einen Lettner erinnernde Bühnenbild, das die Vorgaben Schwabs sehr genau, fast übergenau erfüllt, bis fast an die Wand der sehr tiefen Halle von depot 2 zurückfahren, nachdem Erna und Grete, zwei putzende Pensionistinnen, die eine ein wunderbarer Ausbund an Vulgarität, gespielt von der so unglaublichen Karin Neuhäuser, und die ihr wirklich nicht nachstehenden  Olivia Grigolli als Erna, die man mit ,etepetete‘ charakterisieren könnte. Nachdem diese beiden PRÄSIDENTINNEN, die sich als heilige Jungfrau der Aborte aufspielende etwas jüngere Mariedl ,  die zum Kölner Ensemble gehörende Yvon Jansen als eine Art Jesus-Ersatz für ihre im Grunde rabenschwarzen Abgründe, in einer Art Erlösungsansatz bei Schwab, ermordet und bei Bosse ebenfalls getötet haben, aber nicht mit einem Kehlenschnitt, sondern mit einer Pose, die ein wenig an die kunstvoll-spirituellen Blutorgien von Herrmann Nitsch erinnert, Mariedl ans Bühnenbild gehämmert, aus dem Mund Blut erbrechend, langsam zurückgerollt und danach zugeklappt, schließlich hat sie die so wunderbare Theatralik der zweiten Szene stetig gestört und ins Heilige zu imaginieren gesucht, obwohl sie ja nichts anderes als ihre Abortreinigungsorgien vorgestellt und damit in einer an Albee oder Williams erinnernden Racheaktion das nur im Kopf der Protagonistinnen stattfindende Fest, das ein köstlicher Diskurs und Exkurs übers Theater darstellt, stetig unterbrochen hat. Sie ist die Außenseiterin, der underdog in diesem Triumvirat, die nicht nur etwas jünger scheint, sondern auch vollkommen analfixiert die Ehemannfestphantasien mit Fäkalienreinigungsorgien unterläuft, bis an die Grenze des Ekelfaktors strapaziert und ihre Antipodinnen, die genauso teilautistisch eigentlich mehr oder weniger nur mit sich selbst beschäftigt, unterbricht und auch ein wenig konterkariert.

Zu Anfang turnt Mariedl mehr übers oder durchs mit zwei Türen und drei Fensterdurchgängen durchbrochene Bühnenbild, das zu beschreiben allein schon die Grenzen des Rahmens sprengen würde, soviel ist da angesammelt, zu sehen und trotzdem in seiner Trödelanordnung fast akribisch geordnet. Im Grunde scheint es das Sammelsurium eines Lebens zu sein, erinnert neben dem Lettner und in seiner Dreiteiligkeit an ein aus Trödel zusammengebautes Altarbild, könnte eine geordnete Version von Jonathan Meeses Chaosinstallationen sein, trieft vor Jesus- und Kinderseelenkitsch, ein Bühnenbild, das sich vielleicht wirklich kaum beschreiben lässt und neben Spieluhren, Federn und Flitter, Zauberschubladen, die glitzern und glühen, in der zweiten Szene eine Art verkitschtes Jahrmarkts-,Weihnachts- und Festartikelinnenleben offenbart, und in der dritten Szene seine reine Theaterkulissenhaftigkeit offenbart, während drei weitere PRÄSIDENTINNEN die zugeklappte Bühne wieder ganz rückwärtig aufklappen, sich in die drei Fensternischen setzen und die drei Schauspielerinnen ihrer aufgedonnerten Perückenkopfbedeckungen beraubt im Grunde derangierte alte Frauen ,Zeigen‘, während zum Gesang der jüngeren Präsidentinnen, die Alten sind der Bühne vertrieben worden bzw. haben die Flucht ergriffen, langsam das Licht verlischt und alle, die nur kurz agierenden Sängerinnen, aber natürlich vor allem diese unglaublich guten Schauspielerinnen von einem beinahe enthusiastischen Publikum, das eigentlich permanent gelacht hat, frenetisch gefeiert werden, auch ihr Regisseur, irgendwo ganz oben ein vereinzeltes Buh, das aber entweder äußerst zaghaft oder möglicherweise sogar als Witz gedacht war, es scheint mir, als ob der eine oder Andere in der vollständig besetzten Tribüne nur höflich applaudiert, um sich im Rahmen der Öffentlichkeit nicht bei einer Ablehnung erwischen zu lassen. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich noch eine Stunde weiterapplaudiert, so begeistert war ich, habe mich, um die Stimmung zu halten, die eigentlich eine rauschende Party im Foyer verdient gehabt hätte, ganz schnell verdrückt, und kam so zum Anblick zweier Darstellerinnen an der rückwärtigen Seite des Bühnenraums, die ermattet jede eine Zigarette rauchend, vielleicht noch ein kleines I-Tüpfelchen auf diese Sahnepremiere von Schauspiel Köln setzten, die hoffentlich auch in Köln das Zeug zum Kultstück hat,

Wobei ich an dieser Stelle anmerken möchte, dass es zwar urkomisch ist, was die drei Darstellerinnen da auf der Bühne mit diesem Stück zelebrieren, aber das als Schwabisch in die Literaturgeschichte eingegangene Kunstdeutsch des Künstlers Werner Schwab, der unter Anderem im Umfeld des Künstlers Erwin Wurm agierte, mit durchaus tragischer Lebensgeschichte das Scheitern als Prinzip erlebt, der sich mit der Vergänglichkeit von Materialien und Leben auseinandersetzte und dem eine Wahrsagerin einen frühen Tod prophezeit hatte, dieser Werner Schwaab hat in seinen Stücken im Band Fäkaliendramen dem Volk aufs Maul geschaut, der hat das alles ernst gemeint, der hat die Leute so gesehen, die Menschen im Grunde als tragikomische Autisten erlebt, die sich eigentlich nie ums Leben oder seine Abgründe geschert haben, sondern sich in ihren Imaginationsriten immer weiter voneinander entfernt haben, so grauenvoll ignorant miteinander umgehen, das hat mir seine Lektorin so erzählt, die meinte, er habe einerseits nett zu seiner neuen Liebe, seiner Wohnungsvermieterin, sein wollen, einer Bürgerlichen, die aber im Grunde auch nichts von seiner Getriebenheit, seiner Arbeitssucht und seiner dunklen Seite verstanden habe. So sei er gestorben, so nebenbei und letztendlich außerhalb der Kulturöffentlichkeit mal eben so totgegangen sei in einer Neujahrsnacht. Andere saufen auch, andere sind auch Alkoholiker, andere haben aber vielleicht doch noch irgendwo eine Stimme im Ohr oder einen Menschen nah bei sich, der es nicht zulässt, dass man mit 4.1 Promille tot geht.

Die Präsidentinnen

Natürlich ist das der Stoff, aus dem die Mythen sind, das Programmheft zitiert sie, aber das wäre ein Kritikpunkt zum Abend, der einfach nicht passt. Die Tragödie des Werner Schwab und seine im Grunde tragische Sicht der Welt spielt eine geringe Rolle, eigentlich nur indirekt, aber das hieße, dass Jan Bosse das Stück so nicht hätte inszenieren dürfen und das ist natürlich vollkommener Unsinn. Er darf, denn Theater heißt, dass jede Interpretation eines Textes zulässig ist und es wäre dummes Kritikergewäsch solche Überlegungen als Maßstab anzulegen.

Jan Bosse und seinem Kreativteam und seinen wirklich herausragenden Schauspielerinnen ist etwas gelungen, was hoffentlich noch Jahre, Jahrzehnte zu sehen sein wird, und dann nicht nur ein Mythos sein wird, sondern auch die fast unendliche Beschäftigung mit einer Theaterarbeit bedeutet, die sich so verändert, aber eben eine handwerkliche Qualität erreicht, wie es sie kaum oder nur äußerst selten im Theater gibt.  Dazu kommt, dass sie so diesem Zeitproduktionsdruck entgangen ist, der Theater fast immer unterliegt. Dabei ist Zeit bei den Proben meistens immer ein Qualitätskriterium für das Ergebnis. Und in der Veränderung hebt sie vielleicht etwas vom Flüchtigkeitsmoment auf, dem Theater auch immer unterliegt, jeden Abend neu, in jeder Regiearbeit neu.

Dabei erzählt Bosse doch mit seinen Schauspielerinnen nichts krampfhaft Aufgepfropftes, er erzählt erst davon, dass es Menschen gibt, für die die Erde eine Scheibe ist, er erzählt von den Banalitäten des Lebens, von der Theatralik der Imagination, die aus einer Wohnküche ein großes Volksfest entstehen lässt als wäre man bei Ödon von Horvath, von einem polnischen Fleischer, der Wottila heißt, vom Herrmann, der keinen Verkehr hat, von dem Herrn Pfarrer, der eine Dose Gulasch und eine Flasche Bier im Klo versteckt, damit das Mariedl, die Scheisshausheilige und Abbortkönigin nach Herzenslust in der Scheisse wühlen kann, alles in köstlichen Abendgarderoben, wirklich zelebriert als wäre es Shakespeare oder die deutsche Klassik, die die Drei in ihrer weltabgewandten Einsamkeit einander als Theater vorstellen, wobei eine wirklich komischer als die Andere agiert, bevor es zum heilig-abgründigen Kreuzigungsexzess kommt, der aber auch die Banalität eines in die Wand getriebenden Bildaufhängungsnagels hat.

Die voyeuristische Überheblichkeit von uns Zuschauern, die wir uns nicht im Verhandelten, Erzählten und Dargestellten erkennen, die wir uns von der Tribüne erheben, hat einst Karin Baier in der Halle Kalk mit viel Aufwand in den Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen als billigen Voyeurismus kritisiert und reflektiert. Hier wird es im Grunde einfacher gelöst, indem die Künstlichkeit von Szenerie, Inszenierung und Spiel keine Stellungnahme von oben herab ermöglichen, sondern eine Heiterkeit erzeugen, der man noch stundenlang zuschauen könnte, die einem auch das Blut durch die Adern treibt. Vielleicht sind wir es ja doch selber, ist es unser Autismus, unsere Einsamkeit, unsere unerfüllten Sehnsüchte, unsere Abgründe, die da verhandelt werden, und je weiter Bosse das Bühnenbild in der Halle zurücktreibt, desto mehr zeigt es die Kulissenhaftigkeit des Gesehenen, dass alles doch nur Theater ist, dass wir mal wieder in einem urgemütlichen Sitz gesessen und mitten in die Hölle geblickt haben, die Hölle, die die Anderen und auch wir sind oder frei nach den  Original Hinterlader Seelentröstern

Der Herrgott ist a Schnellkochtopf
da wirst du ganz schnell weich
er kocht dir deinen schweren Kopf
und tröstet deine Leich

Wäre noch zu erwähnen, dass der überaus rührige Literaturverlag Droschl aus Österreich seit 2007 an der elfbändigen Gesamtausgabe von Werner Schwabs Werken arbeitet, die 2014 abgeschlossen sein soll.  Unabhängig davon ist mir klar geworden, dass neben der Tragik Schwabs und der literarischen Bedeutung, auch der Künstler Schwab vielleicht noch zu wenig gewürdigt ist, was natürlich sicher auch daran liegt, dass er sich vergänglicher Materialien bedient hat.

Eine gute Nachricht: Den Nachlass des Autors bearbeitet die Universität Graz. Zu diesem Zweck hat das Bundesland Steiermark 2009 die Sammlung des Dramatikers für 230.000 Euro gekauft. Aber ist das nicht gleichzeitig eine niederschmetternde Nachricht, so niederschmetternd wie die Berühmtheit Martin Kippenbergers…vielleicht wäre ja der Künstler Werner Schwab ein Thema für Angela Richter oder einen anderen Künstler am Schauspiel Köln….

weitere Aufführungen am 8.11, am 30.11, am 19.12 und am 21.12 jeweils um 20 Uhr im depot 2 Schauspiel Köln im Carlswerk in Köln Mülheim